Eine der gravierendsten Folgen der Flutnacht ist, dass das Ahrtal in zwei Teile zerschnitten wurde. Hinter Altenahr schoss das Wasser mit einer solchen Gewalt durch den Tunnel in Richtung Reimerzhoven, dass dahinter ein großer Krater entstand. Die Bundestraße 267 ist hier völlig zerstört, der Tunnel auch für Fußgänger gesperrt. Die Menschen müssen auch zehn Wochen nach der Flut kilometerlange Umwege machen, um ihre Nachbarorte auf der anderen Seite dieser Barriere zu erreichen. Und das wird noch längere Zeit so bleiben.
Der englische Begriff „Dead End Street“ trifft die Atmosphäre auf dem letzten Kilometer vor diesem Schlusspunkt ganz gut. Am Ortsausgang von Reimerzhoven hat jemand auf der rechten Seite ein improvisiertes Schild aufgestellt: „Stop Lebensgefahr“ steht da in krakeliger Handschrift. Ein letzter Versuch, die Katastrophentouristen zu bremsen, die hier am Wochenende und am Abend mit ihren Autos entlangbrausen und sich die klaffende Wunde des Tals mal aus der Nähe anschauen wollen. Überall im Flutgebiet finden sich an Gefahrenstellen solche selbstgemalten Hinweise: „Stopp, Brücke ist weg, wenden!“ oder „Achtung, LKW-Verkehr“. Man nimmt sie besser ernst. Also nicht mit dem Auto hin.
Ich parke mein Auto in Reimerzhoven und gehe die letzten paar Hundert Meter dorthin zu Fuß. Die Straße liegt verlassen in der gleißenden Sonne. Das Loch liegt hinter einer Kurve und ist noch nicht zu sehen. Dafür aber enorme Geröllbrocken, die die Flut an die Seiten gespült hat. Eine Polizeistreife fährt vorbei, ein LKW, ein Traktor. Sonst ist es still. Bis auf den immer wieder kehrenden, sehr lauten und durchdringenden Schrei eines der Greifvögel, die oben am Berg kreisen.
Je näher man dem Krater kommt, desto lauter werden auch andere Geräusche: Das Gepolter von großen LKW mit Kippern, das Zertrümmern von Bodenplatten und Steinen, das Einreißen von Wänden. Hinter der Biegung bietet sich durch die hohen Bögen der Ahrbrücke nach einiger Zeit das ganze Bild: Bagger, Greifer, Kipper arbeiten in einer großen Staubwolke daran, Geröll zu entfernen und die beiden Häuser abzureißen, denen das Loch die Standfestigkeit geraubt hat. Wie sie langsam und bedächtig die Ausleger oder Schaufeln heben und senken, sich einander zu- oder voneinander abwenden, wirkt wie eine Mischung zwischen Transformers-Kampf und bedächtigem Tanz. Ein faszinierendes Schauspiel in einer erschreckenden Trümmerwüste.
Auf dem Rückweg kommt mir eine Frau aus Kalenborn entgegen, die heute zum ersten Mal seit der Flut wieder über den Rotweinwanderweg ins Tal gegangen ist. Sie erklärt mir lachend, dass der vermutete Greifvogelschrei gar keiner ist: Die Winzer schützen mit diesem akustischen Vogelabwehrgerät ihre Rebstöcke vor Staren. Täuschend echt, würde ich sagen. Ich vermute aber, dass die Stare es nach einer gewissen Zeit besser wissen.
Kuckuck Carmen,
Das gefällt mir alles sehr, sehr gut. Das Blogformat finde ich super für viele verschiedene Geschichten an unterschiedlichen Orten.
Die Bildauswahl ist auch super. Immer konkret und alles beschrieben ohne voyeuristisch zu sein. Jetzt noch viele Geschichten aus unterschiedliche Perspektiven, dann hast du hier wirklich eine Perle erschaffen. Echt toll!!!!!!
Danke schön, Anita! Fühle mich echt geehrt!