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Zu 100 Prozent vollgelaufen

Ein kurz nach der Flutnacht von der Kreisverwaltung veröffentlichtes Luftbild des restlos überschwemmten Ortes Altenburg war eines der ersten, das mir klar machte, was für eine Katastrophe da grade in meiner Heimatregion passiert war.  Ich konnte auch nach längerem Hinstarren auf dem Bild nicht erkennen, um welche Ahrgemeinde es sich handelte, die da bis an die Dächer unter Wasser stand. Sechs Wochen nach der Flut bin ich erstmals dort.

Ich laufe quer durch den Ort bis zu den steil aufragenden Felsen, die ihn weit vom Ahrufer weg nach hinten begrenzen. Selbst am letzten Haus am Steinacker sehe ich noch deutlich die Flutlinie auf den Fenstern im ersten Stock. Man sieht das, aber man glaubt es kaum. Altenburg, ein Ortsteil der Gemeinde Altenahr, war tatsächlich zu 100 Prozent vollgelaufen.

An diesem Nachmittag sieht man einige Soldaten und THW-Kräfte, die zu den Verpflegungszelten nahe der Realschule+ gehen und dort einen saftigen Braten zum Mittag essen. Zu ihnen gesellen sich ein paar Helferinnen und Helfer, die mit Shuttle-Bussen aus der Grafschaft ins Tal gebracht worden sind und Bauschutt aus den Häusern schippen. Sie haben inzwischen einen unverkennbaren Look entwickelt:  T-Shirts (meist mit Aufschrift) oder weißem Trägerhemd, lange Hosen mit Schlammflecken, Tattoos, schwere Schuhe und eine (zumindest am frühen Tag noch) irgendwie energiegeladene Präsenz zeichnen sie aus. Ihre Hilfe ist begehrt, vielleicht sogar zu sehr. „Der Nachbar hat mich eben gefragt, wann wir denn „endlich“ zu ihm kommen“, erzählt eine junge Frau einer anderen Helferin bei einem Einwegbecher gut riechenden Kaffees und schüttelt ein bisschen ratlos den Kopf. Man kann ja nicht überall sein.

Auf den Straßen sind relativ wenige Menschen zu sehen, die meisten legen innen mit Hämmern, ohrenbetäubenden Bohrern oder sonstigen Maschinen die Wände und Böden ihrer Häuser frei. Der frenetische Lärm ist ein gutes Zeichen – er zeugt zumindest von etwas Lebendigkeit, von Weitermachen und vor allem davon, dass diese Gebäude stehen bleiben können. Das kann man hier nicht von allen sagen.  Der Ort wird sich stark verändern und mit ihm die Ortsgemeinschaft. Wer von den 600 Einwohnerinnen und Einwohnern bleibt, wer geht? Das werden erst die nächsten Wochen und Monate zeigen.   

Am 3. September kommt Angela Merkel hierhin, um sich nach Schuld den zweiten zerstörten Ort im Ahrtal näher anzusehen. Sie wird damit viele Nachrichtenteams und Kameras hierhin zurückbringen. Gut so. Die Katastrophe ist noch längst nicht vorbei.

Carmen Molitor

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